Reisebericht von Johannes

Reisebericht aus Peru: Eine Schule im Nirgendwo

Johannes Fieres, Januar 2024

In gut 24 Stunden werde ich aus der Heidelberger Weststadt per Flughafenshuttle, drei Flügen und einer zweieinhalbstündigen Fahrt auf einer staubigen Landstraße ins peruanische Olmos katapultiert. Olmos? Das ist eine Ortschaft in der nördlichen Küstenregion von Peru. Ich besuche dort Narciso Crisanto, der hier eine evangelische Schule leitet, die zum großen Teil aus deutschen Spendengeldern finanziert wird. In den ersten Tagen lerne ich, was ein Kulturschock ist. Der Lebensstandard und die öffentliche Infrastruktur sind, mit Deutschland verglichen, sehr elementar. Die meisten Leute wohnen in zugigen Baracken mit Wellblechdach, es gibt keine funktionierende Müllabfuhr, und, wer kann, bohrt sich einen eigenen Brunnen, da das öffentliche Wasser von zweifelhafter Qualität ist und nur von 5 bis 7 Uhr morgens kommt. (Das, was allerdings immer und überall funktioniert, ist das LTE-Handynetz.) Man sieht kaum Autos auf den größtenteils ungeteerten Straßen, aber dafür gibt es umso mehr von den dreirädrigen „Motos“, eine Art Motorrad mit Sitzbank hinten dran. Touristen verirren sich nicht hierher. Dafür habe ich Gelegenheit, mein rudimentäres Spanisch zu trainieren. Englisch spricht hier niemand.

Die Hauptstraße von Olmos an einem Markttag…
…und eine der Seitenstraßen an einem normalen Tag

Mitten in dieser Umgebung hat Narciso auf einem 50 x 100 m großen Grundstück seit 2011 nach und nach die Schule aufgebaut. Sie ist staatlich anerkannt und besteht mittlerweile aus einer Grundschule (Klassen 1–6), die kostenlos angeboten wird, und einer Sekundarstufe (bis zur 11. Klasse), die die Schüler etwa halb so viel kostet wie eine vergleichbare Privatschule. Zwar gibt es in Olmos auch eine staatliche Grundschule (die Schulpflicht endet in Peru mit der sechsten Klasse), die aber so schlecht ist, dass die Leute bei Narciso Schlange stehen, um einen der maximal 24 Plätze pro Jahrgangsstufe zu ergattern. Mittlerweile haben schon vier Jahrgänge die 11. Klasse abgeschlossen. Dies berechtigt nach einer Aufnahmeprüfung zu einem Universitätsstudium, was einige der Absolventen nun auch schon nutzen.

Das Schulgebäude hat drei Stockwerke mit elf Klassenzimmern und eine handvoll Mehrzweckräume. Auf der Rückseite gibt es noch einen großen überdachten Pausenbereich (hier nicht zu sehen)
Während meines Aufenthaltes waren Sommerferien. Hier besuchen Zweitklässler einen Ferienkurs

Im Schulgebäude befindet sich auch Narcisos Privatwohnung. Auf dem Grundstück stehen außerdem ein Gemeindesaal (dazu später mehr) und ein weiteres Wohnhaus. Dort wohnen Narcisos Mitarbeiter: Die Handwerker Edwin und Juan, und die Famile Ramon mit ihren vier Kindern. Zusammen mit Narciso bilden sie eine Art Lebensgemeinschaft. Alles (von dem Brunnen über die Gebäude bis zu den Türen und Schulmöbeln) wurde in viel Eigenarbeit selbst hergestellt – der nächste Baumarkt ist mehr als 100 km entfernt, d.h. je nach Verkehr zwei oder mehr Stunden, und teuer. Die Ausstattung der Schule und der Wohnräume ist nach deutschem Standard spartanisch: kein warmes Wasser, viel nackter Betonboden und sehr einfache Möblierung. Dafür gibt es einen großen, wunderbar angelegten Garten mit Zier- und Nutzpflanzen. Eine blühende Oase im staubig-grauen Olmos. Ich beziehe ein Gästezimmer in Narcisos Wohnung. Die Mahlzeiten nehmen wir in einer Art Außen-„Wohnzimmer“ zusammen mit der Familie Ramon ein.

Im Garten wachsen Bananen, Mangos und Gemüse für den Eigenbedarf

Ich erlebe Narciso in Gesprächen und auf unseren Ausflügen als furchtlosen Visionär und Macher, der offensichtlich von einer großen Menschenliebe getrieben ist, die in einem tiefen Glauben wurzelt. Immer wieder kommen Menschen zu Besuch, um sich Ratschläge oder einfach ein tröstendes Gespräch abzuholen. Narciso zeigt mir die Landwirtschaft, auf der er als Kind und Jugendlicher gelebt und mitgearbeitet hat. Durch gute schulische Leistungen und ein Stipendium, das ihn nach Europa geführt hat, konnte er dieses Leben hinter sich lassen. Später, wieder in Peru, hat er weitere Ländereien dazugekauft, die helfen sollen, das Schulprojekt zu finanzieren. Noch werfen sie keinen Gewinn ab, aber schon hat er weitere große Pläne: Auf dem Rückweg zeigt er mir ein riesiges Feld in einem abgelegenen Dorf (eher ein weitläufiges Areal mit verstreuten Hütten. Es heißt „Las Pampas“). Dort sähe er gerne eine weitere Schule und ein Krankenhauszentrum für die Landbevölkerung entstehen. „Auch die Schule in Olmos ist aus dem Nichts entstanden“, erklärt er mir. Narciso ist mit einer deutschen Ärztin verheiratet, die (noch) berufsbedingt in Deutschland lebt und sich ebenfalls sehr für das Schulprojekt engagiert, z.B. beim Einwerben von Spendengeldern. Die beiden haben zwei erwachsene Kinder. Er selbst lebt abwechselnd je sechs Monate im Jahr in Olmos und in Heidelberg.

Narciso (rechts) und Edwin zeigen mir auf den neuen Ländereien ein Feld mit frisch gepflanzten Bananenstauden
Abendstimmung im Dorf „Las Pampas“

Narciso, von der Ausbildung her promovierter Theologe, hat auch eine kleine evangelische Gemeinde in Olmos gegründet – ansonsten ist der von den Spaniern eingeführte Katholizismus allgegenwärtig, mit Kapellchen und kleinen Jungfrau-Maria-Heiligtümern an jeder Ecke. Die Gemeinde besteht aus ca. 50 Personen, Tendenz: steigend. Man trifft sich mit Kind und Kegel jeden (!) Abend um 20 Uhr zu einer kleinen Andacht. Diese findet dreimal in der Woche im erwähnten Gemeindesaal statt und an den anderen Tagen in wechselnden Grüppchen reihum bei den Familien zuhause. So möchte Narciso die Familien stärken. Eine der Familien, Zully und Walter mit ihren vier Kindern im Grundschul- bzw. Teenageralter, wohnt auf dem Land, 30 Minuten Fahrt mit dem Moto über Feldwege. Wenn ich dachte, Olmos sei das Ende der Welt, werde ich jetzt eines Besseren belehrt. Inmitten einer staubigen Ebene, umrahmt von hohen Bergen, steht eine kleine Hütte aus Bambusstangen, Sperrholz und Wellblech. Ein paar Ziegen stehen herum, und auf einigen Feldern wird versucht, dem Boden etwas Ess- bzw. Verkaufbares abzuringen. Die Andacht im Freien bei Sonnenuntergang ist schön. Am Ende wird uns sogar eine Kleinigkeit zu Essen und Trinken angeboten. Auf der Rückfahrt erzählt mir Narciso, dass die Familie nicht einmal einen Brunnen hat, sondern das Wasser für sich, die Tiere und die Pflanzen von weither holen muss.

Gottesdienst im Gemeindesaal
Andacht im Freien bei Zully und Walter

Über das peruanische Essen könnte ich einen ganz eigenen Bericht schreiben. Hier nur zwei Dinge. Erstens: Zwischen Frühstück, Mittagessen und Abendbrot wird nicht unterschieden. Jedesmal gibt es Reis, Kartoffeln, Mais oder Maniok, meist mit einem kleinen Stück Fisch, Fleisch oder Hülsenfrüchten. Zweitens: Reife Mangos vom Baum sind unbeschreiblich lecker. Man isst sie mit Schale, wie einen Apfel.

Die zwei Wochen in Olmos sind sehr intensiv und gut gefüllt. Mit Edwin arbeite ich im Garten und renoviere die Räume der Sekundarstufe, die dringend einen Anstrich und kleinere Reparaturen benötigen. Zur Erfrischung werden wir mit frisch gemixtem Mango-Bananen-Shake mit Früchten aus dem Garten versorgt. Am Ende ist die Zeit schnell vorbei, und ich mache mich auf, noch für ein paar Tage ein kleines Touristenprogramm im Süden des Landes zu absolvieren. Ich bin dankbar für Narcisos Gastfreundschaft, die eindrücklichen Erlebnisse und die vielen lieben Menschen, die ich trotz einiger Sprachschwierigkeiten kennenlernen durfte. Zu Beginn hätte ich es nicht erwartet: Ich verlasse Olmos mit einem weinenden Auge.

Mit Edwin renoviere ich einige Klassenzimmer

Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Schule, aber auch allein Narcisos Persönlichkeit, ein Segen für die Gegend sind. Die Schule ist langfristig auf Spenden angewiesen und freut sich über regelmäßige Unterstützung. Spenden gehen am besten über den deutschen Verein, der eigens zur Unterstützung der Schule gegründet wurde:

Kinderhilfe in Olmos-Peru e. V.
https://kinderhilfeolmos.wordpress.com

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